Geschichten aus Afrika 2 – durch die Kalahari

Alleine wollen wir das Wildreservat der zentralen Kalahari durchqueren.
Was wird uns dort erwarten?

Montag, 10. April: Der Tag beginnt früh. Regen und Wind der vergangenen Nacht sind vorbei. Noch ein Häferl Kaffee, alles aufräumen, gut festzurren – los geht´s. Jetzt wird es sozusagen ernst, ab hier gibt es nur mehr Sandpisten.
Nach einigen Kilometern im Dickicht kratzbürstiger Dornenbuschen begegnen uns zwei Geländewagen. Das Schweizer Ehepaar im ersten Auto ist vollkommen aus dem Häuschen. „Ein Löwenrudel – sie haben eine Oryx Antilope erlegt. Schaut mal, wir haben gefilmt, wie die Löwin ihre Beute vor uns über die Piste schleift . . .“

Das Video jagt uns einigen Respekt ein, na das kann ja . . .

Als wir an den aufgeregt beschriebenen Jagdgründen ankommen ist das Spektakel vorbei.

Die Mieze streckt den Bauch in die Luft und hält Mittagsruhe, Schwestern, Cousinen, und der Nachwuchs liegen gut getarnt rundum verstreut im hohen Gras. Auf den ersten Blick sind die großen Katzen gar nicht zu sehen.

So was von entspannt. Aber mit einem Auge bewacht die Jägerin ihre zuvor erlegte Beute.

Sich da zu nähern wäre keine gute Idee.

Endlich hat das Dickicht rechts und links der Sandspur ein Ende, vor uns weitet sich das Deception Valley, in dem Delia Owens und ihr Mann viele Jahre lang die Tiere der Savanne beobachtet und studiert haben. Die Abendsonne taucht das weite Tal in ein wunderbar warmes Licht.

Friedlich grasen die Springböcke, uns beschleicht ein wenig das Gefühl, hier in einem kleinen Paradies angekommen zu sein . . .

Eigentlich muss man nur stehenbleiben, den Motor abstellen, und warten was geschieht.

Wir stellen uns an den Rand der Piste. Nach einigen Minuten taucht ein Grüppchen von Füchsen auf. Sie haben riesige Ohren die an Fledermäuse erinnern. Mit diesen Löffeln können sie wohl besonders gut hören.

Ein Schwarzdeckenschakal schaut auch vorbei. Dem einsamen, scheuen Tier ist unser Auto aber nicht recht geheuer, ganz schnell verschwindet es wieder im hohen Gras.

Die Kleinsten der Savanne sind stets auf der Hut. Wie schnell diese putzigen Tiere laufen können. Eines von ihnen passt auf und warnt seine Gefährten bei drohender Gefahr.
Husch – sind sie wieder in ihren Erdlöchern verschwunden. Ich könnte ihnen stundenlang zuschauen.

Inmitten der Kalahari – große Einsamkeit im Deception Valley

Unsere erste Nacht fernab jeglicher Zivilisation. Hier in dieser Wildnis fühlt man sich schon sehr alleine.

Die Anspannung, nicht zu wissen wer in der Nacht rund ums Auto schleicht, ist groß. Aber was tun, wenn sich ein dringendes Bedürfnis meldet? Manchmal sind sogar primitive Plumpsklos eingerichtet, aber immer zu weit weg vom zugewiesenen Stellplatz. Nur wer lebensmüde ist getraut sich, in der Nacht das Zelt zu verlassen.

Ich erinnere mich an eine Frage in den ersten Wochen der Reisevorbereitung: „Du Schatz, wie tust denn du, wenn du in der Nacht pieseln musst?“
Die Antwort darauf wird von mir fürs erste vertagt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass vielleicht Löwen ums Zelt schleichen.

Und, Buben tun sich sich bei so was bekannterweise leicht, stecken ihr bestes Stück in eine Pipiflasche, und können zielsicher loslassen. Aber Mädchen? Mit Knieprothese auf wackeligem Boden kauern, ungeübt mit einem Trichter hantieren – mir kommen Zweifel. Aber als der Tag der Abreise naht, muss eine Lösung her.

Ich geh´ in den Baumarkt, schau und schau, lande schließlich in der Küchenabteilung. Hausfrau eben, und was sehe ich? Einen Speisethermos, perfekt für mein Anliegen: weit genug für treffsicheres Loslassen, schmal genug um in Position zu passen, breit genug um nicht gleich umzufallen, voluminös genug um auch in langen Nächten nicht überzugehen, und das Beste überhaupt, ordentlich verschließbar mit einem dichten Schraubdeckel. Und einen klappbaren Henkel hat das Ding auch, so kann ich es sicher dort hinhalten wo es sein soll. Genial, nicht wahr?

Ich denke noch heute mit Schmunzeln an die sprachlose Dame in der Geschirrabteilung. Sie hat für ihre Beratungsgespräche sicherlich etwas dazugelernt.

Drei Tage haben wir Zeit, hier im Herzen des Wildreservats unsere Runden zu drehen und die Tiere zu beobachten.

Immer wieder bleiben wir einfach stehen und schauen. Dann hüpfen mir solche Schönheiten vor die Linse. Ich bin fasziniert von der Vielfalt der Vogelwelt.

Es gibt auch gefiederte Gesellen die nicht wirklich schön anzuschauen sind, aber sie sind wichtige Teilnehmer im Ökosystem. Weiß der Geier, warum sie da minutenlang so friedlich nebeneinanderhocken.
Sie warten wohl auf das, was die Löwen übrig lassen, machen reinen Tisch, und sorgen für Ordnung.

Die sechs Tage in der Kalahari sind wirklich anstrengend. Da die Klimaanlage ausgeschaltet ist – sie würde zu viel Diesel verbrauchen – setzt uns die Hitze untertags ordentlich zu. Waschen und Körperpflege im absoluten Sparmodus, eine Dusche? Vergiss es. Am Stellplatz in der Piper Pan gibt es sogar eine primitive Kübeldusche, das Wasser dafür müsste man freilich selbst mitbringen.

Die Piste ist mühsam, teilweise wühlt sich das Auto durch tiefen Sand, dann wieder gibt es tiefe, jetzt beinhart ausgetrocknete Gruben, in denen bei der gerade beendeten Regenzeit andere Fahrzeuge wohl im Schlamm versunken sind. Der Mann am Steuer und sein Auto kämpfen sich nur langsam vorwärts . . .

Samstag, 15. April: Eine lange Fahrt nach Süden steht bevor, am späten Nachmittag erreichen wir den Stellplatz in Xade, am südwestlichen Eingangs/Ausgangstor des Kalahari Wildreservates. Wolfgang macht sich sofort an die Arbeit. Der Benzinkocher verweigert den Dienst, er gehört durchgeputzt. Auch der Luftfilter vom Auto muss möglichst schonend gereinigt werden. Die Fahrt der letzten Tage durch hohes Gras hat ihn total mit Grassamen verstopft.

Wir sind ziemlich erschöpft, aber der wunderbare Sonnenuntergang entschädigt für die Anstrengungen der letzten Stunden. Und die größten Herausforderungen hätten wir ja schon hinter uns gebracht – denke ich – und habe keine Ahnung, dass es bei der Ausfahrt nach Ghanzi noch ganz dick kommen wird.

Am Ausgangstor der Kalahari – die letzte Etappe

Sonntag, 16. April: Wir brechen früh auf, ein bisschen Wehmut ist dabei. Die Begegnungen mit den Tieren haben uns sehr beeindruckt, leider war kein Löwe dabei.

Und dann zeigt sich der Chef der Savanne doch noch. Keine 100 Meter von unserem Stellplatz der letzten Nacht entfernt läuft uns diese Majestät über den Weg. Was für ein schönes Tier, ich freue mich so, kann vor lauter Aufregung kaum die Kamera halten.

Eigentlich haben wir gedacht, mit dem Verlassen des Parks lägen die üblen Pistenverhältnisse hinter uns. Fehlanzeige – die ersten 67 Kilometer tiefer Sand entpuppen sich als echte challenge. Immer wieder kracht das Auto mit der Vorderachse in tiefe Sandgruben die im grellen Licht gar nicht erkennbar sind. Auf einer unerwarteten Felsplatte hält Wolfgang an und lässt noch einmal Reifendruck ab.

Bei einer Höchstgeschwindigkeit von etwa 15 km/h gilt es, nur ja nicht den Schwung zu verlieren – wenn wir hier steckenbleiben haben wir ein Problem. Die unmittelbare Erinnerung an die Löwenbegegnung trägt auch nicht gerade zur Entspannung bei. Hoffentlich kommt uns niemand entgegen. Hier ausweichen? An den Abschnitten der Piste, wo die Büsche etwas zurückweichen, ist der Sand abseits der Fahrrillen wohl mehr als knietief, zeitweise gibt es hoch aufgetürmte Sandberge, offensichtlich vom Wind verweht.

Und dann passiert es doch – ein Fahrzeug taucht in der Ferne auf. Ziemlich hoch, eckig, muss ein LKW sein. Als wir näher kommen, sehen wir, dass es in die gleiche Richtung fährt. Aber nein – es fährt nicht – es steht still, und weit und breit ist niemand zu sehen. Was tun? Nur ja nicht stehen bleiben, keinesfalls stehenbleiben.

Wir müssen raus aus der Fahrspur – ob unser Auto das auch noch schafft?

„Wir müssen es versuchen, halt dich fest!“

Wolfgang zwingt unser Auto aus der Spur hinaus in den tiefen Sand. Die Drehzahl klingt verzweifelt hoch, wir kommen kaum vorwärts, und doch wühlen wir uns langsam an der linken Seite des Kastenwagens vorbei. Drinnen sitzt – niemand. Die Räder des Wagens sind vollkommen eingegraben, nicht mehr zu sehen. Da ist wohl einer hängengeblieben, hat sein Fahrzeug einfach stehenlassen, und – wo ist der Fahrer jetzt?

Ist mir auch egal, Hauptsache wir sind an ihm vorbei. Gut gemacht – wie schafft das mein Mauserich, in einer solchen Situation die Nerven zu bewahren?

Ein paar Kilometer weiter dasselbe Spiel. Diesmal ist es ein weißer Toyota Landcruiser der uns den Weg versperrt. Tief eingegraben wurde das Fahrzeug zurückgelassen, kein Mensch weit und breit.

Auch diesmal gelingt es uns irgendwie im tiefen Sand vorbeizudriften. Ich denke mir – mein Mann und sein Auto – ein gutes Team, aber nur net übermütig werden, noch sind wir nicht da.

67 Kilometer – eine gefühlte Ewigkeit. Wir brauchen fast vier Stunden, dann erreichen wir endlich die Schotterpiste.

Der Mann am Steuer ist jetzt ziemlich geschafft, aber wir sind beide wirklich erleichtert. Eine Pause tut Not, etwas essen, etwas trinken – die Hitze, das grelle Licht – sich in dem bockenden Auto zu verkeilen und festzuhalten ist körperlich wirklich anstrengend. Ich beneide meinen Mann am Steuer – ein bisschen – ich könnte mit dem Auto nicht so gut zurechtkommen wie er, aber er kann sich wenigstens am Lenkrad festhalten.

Unter einem großen Baum am Rand der Schotterpiste lassen wir den Motor abkühlen – dann – Motor aus.

Ich geh´ nach hinten, Heckklappe runter, Kühlschrank auf – oh – eine Überraschung. Aber, nach dieser Fahrt ist der Anblick des Kühlschrankinhaltes eigentlich keine Überraschung. Wie kann ich auch so blöd sein zu glauben, dass ein Eierkarton so eine Höllenfahrt unbeschadet überleben kann.

Ziemlich rasch erwacht mein Kampfgeist wieder. Das wäre doch gelacht, mein armer Mann braucht eine Stärkung. Ich bitte ihn unseren Tisch aus dem Dachträger herunterzuholen, damit ich alles, was in der Kühlbox heil geblieben ist, irgendwo abstellen kann.

Aber – oh – die zweite Überraschung folgt auf dem Fuß:

Die Bocksprünge des Autos haben den Verschluss des Dieselkanisters gelockert und sein stetig sickernder Inhalt hat alles in der Nähe Befindliche in schmierigen, stinkenden Treibstoff getaucht – auch den Tisch.

Es hilft nix, so können wir nicht einmal weiterfahren. Wir brauchen fast eine Stunde um alles notdürftig zu reinigen.

Ein Bauer treibt seine Ziegen an uns vorbei. Er winkt freundlich, lacht uns an. Was der wohl über uns denkt, wenn er uns so sieht?Wir grüßen ihn und winken zurück, aber so richtig nach Lachen ist mir nicht zumute, meine Gefühle fahren Achterbahn.

Erleichterung, dass wir es geschafft haben, dieses Herzstück der Kalahari ohne gröberes Problem zu durchqueren.
Freude und Dankbarkeit, dass wir Tiere in ihrer Wildnis beobachten durften.
Demut vor der Natur, in der man sich als Mensch zeitweise so hilflos und verloren vorkommt.

Auch ein wenig Traurigkeit, dass auf unserem Planeten ein Paradies für Tiere heutzutage nur mehr als umzäunter Nationalpark bestehen kann.

Die letzten 100 Kilometer bis Ghanzi bringen wir auf der staubigen Wellblechpiste schweigend einfach hinter uns.
Bei einer Lodge gibt es einen Platz für Camper mit ordentlichen Waschräumen und einer gemütlichen Terrasse.
Mit Freude genießen wir ein gutes Abendessen, wohlgemerkt – den Salat lassen wir aus – aber nach einer gemütlichen Plauderei ist uns eigentlich nicht.

Zu bewegend sind die Erfahrungen der letzten Tage.