Wald – ganz nah erlebt . . .

Wald ist . . . viele Bäume, oder?

Ein später Nachmittag im Hochsommer, es ist heiß, die Luft ist schwül. Riesige Wolkentürme verdecken die Sonne und lassen ein baldiges Gewitter erwarten.

Für eine Fotografie führt uns der Weg in einen Wald im Steirischen Salzkammergut, wo wir eine alte Mühle zu finden hoffen, deren Abbildung für unser Buch gebraucht wird. Nach einigen Minuten schon tauchen die liebevoll restaurierten Mauern hinter einer Wegbiegung auf. Während mein Mann einen passenden Standpunkt für sein Stativ sucht um die Mühle ins rechte Licht zu rücken, fällt mein Blick auf einen hellen Grashalm, der sich mit anmutiger Verbeugung einen bescheidenen Platz in der Gesellschaft des Waldbodens erkämpft hat. Ich schaue mich genauer um und entdecke im dichten Bewuchs des Unterholzes nach und nach eine ganze Schar von wahren Schönheiten, die mir ihre Blätter, Blüten, und Zweige entgegenstrecken.

Wald ist mehr als viele Bäume.

Über Steinen, Moos, Blätterlaub, und halb verrottetem Holz hat sich unter der Obhut der Baumkronen eine muntere, vielfältige Pflanzengesellschaft etabliert. Verwilderte Sträucher gibt es da, krautige Pflanzen, Disteln und Gräser, Stauden, Ranken, Mehrjährige und viele Einjährige, deren jährliches Wiederkommen von den notwendigen Witterungsbedingungen, und natürlich auch von der Toleranz der pflanzlichen Nachbarschaft abhängt.

Dank des bewölkten Himmels gibt es keine harten Schatten, das diffuse Licht malt eine faszinierende Vielfalt an grünen Farbnuancen – in kühlen und warmen Tönen.

Wald ist viel mehr als viele Bäume.

Dicht an dicht stehen sie da, diese kleinen, stillen Schönheiten. Wie leicht kann man über sie hinweg sehen, wenn man – auf der Suche nach einem besonderen Motiv unter den Bäumen – durch den Wald streift. Da kann es wohl leicht passieren, dass man sie glatt übersieht.

Der Lebensraum der zarten Wesen ist sehr beengt. Es ist gar nicht so leicht, die bescheidenen Geschöpfe gebührend in Szene zu setzen.

Wald neu entdecken. Die vielen Bäume einfach ausblenden.

Wieder einmal erlebe ich heute wie bereichernd es sein kann, altbewährte Perspektiven in der Fotografie zu verlassen um neue auszuprobieren. Was hindert mich eigentlich daran, den Blick auf das alte, vielbemühte Thema Wald zu erweitern und zu erkunden, was es außer den vielen Bäumen da sonst noch gibt? Wie lohnend ist es, mit Hilfe der Kamera genauer hinzuschauen um Verstecktes, Unbeachtetes, Unwichtiges zu entdecken . . .